Wieviel Sicherheit braucht die Freiheit?

30. Strafverteidigertag 2006

Frankfurter Paulskirche, 24.-26. März 2006

 

Als »Hoffnung der Machtlosen« bezeichnet Wolfgang Naucke das rechtsstaatliche Strafrecht (Naucke/2000/411): »Das Strafverfahren und die Gerichtsverfassung sind kunstvoll und scharfsichtig durchkonstruierte Formen der Bindung staatlicher Strafmacht«, sie bändigen den machtvollen Staat im Umgang mit dem machtlosen Einzelnen.
In gleicher Weise jedoch, wie sie den strafenden Staat »binden«, sind sie auch an ihn gebunden. Das rechtsstaatliche Strafrecht, entstanden aus dem politischen Bedürfnis nach der Sicherung der Freiheit, wird von der politischen Entscheidung im Gesetzesstaat beständig bedroht. Wenn also gelten soll, dass der strafrechtliche Rechtsstaat mehr ist, als »die Summe der Gesetze, die die jeweilige politische Koalition, Führung, Macht durchsetzen kann«, dann muss er entweder politischer Entscheidungs-macht entzogen werden. Oder aber das Bedürfnis nach Freiheit benötigt einen machtvollen Fürspre-cher, der es gegenüber politischen Bedürfnissen nach Sicherheit, Ruhe und Ordnung verteidigt.
Diese Erkenntnis stand schon am Beginn der Strafverteidigertage: »AnwaItlicher Beistand und Vertei-digung sind Schutz des Interesses des Betroffenen an der Erhaltung und Vergrößerung seiner persön-lichen Freiheit«, hieß es in einem »Arbeitspapier« zum Strafverteidigertag von 1977. »Beistand und Verteidigung vollziehen sich nicht um der Verwirklichung staatlicher Rechtspflege willen (...). Sie sind Abwehr staatlichen Eingriffes unter der Maxime in dubio semper pro libertate...« Strafverteidigung, welche die Freiheitsinteressen des Einzelnen gegenüber dem Strafanspruch des Staates vertritt, gerät zwangsläufig in Widerspruch zur Politik - und muss gerade deshalb selbst rechtspolitisch sein. Zum 30. Strafverteidigertag ist diese Einsicht so aktuell wie je.

[Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts, Baden-Baden 2000]

Freitag, 24. März 2006 | Frankfurter Paulskirche:

18.30 Uhr | Eröffnung und Begrüßung | RA Armin Golzem, Vorsitzender der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V.

19.00 Uhr | Eröffnungsvortrag: »Sicherheit durch Strafrecht«
Prof. Dr. Winfried Hassemer / Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts

anschl. (ca. 20.30 Uhr): Empfang der Rechtsanwaltskammer für die Gäste des Strafverteidigertages in der Schwanenhalle des Frankfurter Römers

Sonnabend, 25. März 2006 | Arbeitsgruppen

09.00 – 12.30 Uhr Arbeitsgruppen
12.30 – 13.30 Uhr Mittagspause
14.00 – 16.30 Uhr Arbeitsgruppen
17.00 – 18.30 Uhr zentrale Veranstaltung: 30 Jahre Strafverteidigertag Statements | Gespräche | Interviews

Sonntag, 26. März 2005 | Paulskirche

10.00 Uhr | Schlussdiskussion: Kein Schritt vor, zwei Schritt zurück?
Reformperspektiven des Jugendstrafrechts

OStA Klaus Breymann, Magdeburg
N.N.
RA Lukas Pieplow, Köln
Prof. Franz Streng, Erlangen/Nürnberg
Moderation:
RA Joachim Schmitz-Justen, Köln

Arbeitsgruppe 1
Vom Sinn und Zweck der Strafe

in Kooperation mit dem Institut für Sozialforschung Frankfurt/Main

Achtung: Dezentrale Veranstaltung im Institut für Sozialforschung!
Um Voranmeldung wird gebeten. Für den Transfer zum Institut wird gesorgt.

Frühere Forderungen nach »Abschaffung des Strafrechts« (Arno Plack) werden von ständigen Gesetzesverschärfungen konterkariert. Sollte die Bestrafung früher der Resozialisierung des Täters dienen, stehen jetzt das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und die Opferinteressen im Mittelpunkt.

Die Arbeitsgruppe soll insbesondere untersuchen, was staatliches Strafen legitimiert, ob Strafe gesellschaftliche Entwicklungen steuern kann, und warum der Staat in manchen Bereichen (Steuerrecht und Drogen) trotz massenhafter Verweigerung an Strafandrohungen festhält.

Referenten:
Prof. Dr. Klaus Günther, ISF Frankfurt/Main
Dr. Michael Lindemann, Bielefeld
Dr. Helmut Pollähne, Bremen
Prof. Franz Streng, Erlangen

Leitung:
RA Hans Holtermann, Hannover


Arbeitsgruppe 2
»Feindstrafrecht« – ein Gespenst geht um im Rechtsstaat

Die Schlussdiskussion auf dem Strafverteidigertag 2005 in Aachen war dem Thema »Vom Bürger- zum Feindstrafrecht?« gewidmet. Die Debatte konnte nach Auffassung vieler Teilnehmer und Zuhörer nicht befriedigen und auch die Fragestellung des Diskussionsthemas nicht beantworten.

Die AG wagt einen neuen Anlauf in der Überzeugung, dass es nicht genügen kann, als falsch und politisch gefährlich eingeschätzte Konzepte einfach totzuschweigen. Stärker als bisher sollen allerdings auch rechtshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte des »Feindstrafrechts« diskutiert werden.

Neben dem Hauptvertreter des »Feindstrafrechts«, Prof. Günther Jakobs aus Bonn, konnten Prof. Frank Saliger, Hamburg, der auf dem letzten Strafverteidigertag zum Folterverbot referiert hat und jetzt der Frage nachgeht, inwieweit das Jakobssche Konzept ein totalitäres Strafrechtskonzept darstellt, und Prof. Jörg Arnold, der das Verhältnis des »Feindstrafrechts« zu den Grundrechten diskutieren wird, als Referenten gewonnen werden. Prof. Alejandro Aponte, der zum Thema der AG promoviert hat und jetzt an der Universität in Bogota lehrt, ergänzt mit seinen Ausführungen über Erfahrun-gen in seinem Heimatland Kolumbien mit dem Strafrecht im permanenten Kriegszustand das Podium.

Referenten:
Prof. Dr. Alejandro Aponte, Bogota
Prof. Dr. Jörg Arnold, Freiburg
Prof. Dr. Günther Jakobs, Bonn
Prof. Dr. Frank Saliger, Hamburg
Leitung:
RA Dr. Klaus Malek, Freiburg


Arbeitsgruppe 3
Strafverteidigung von Ausländern

Während die Rechtsprechung insbesondere des Europäischen Gerichtshofes den Schutz von Ausländern vor Abschiebung stetig erweitert, werden in Deutschland die entsprechenden Regelungen noch verschärft. Dies führt zu Doppelbestrafungen und beeinflusst mannigfaltig die Verteidigung von Aus-ländern. Auch findet eine echte Resozialisierung häufig nicht statt.

Die Arbeitsgemeinschaft soll die durch die Ausweisungspraxis entstehenden Nachteile in den einzelnen Verfahrensabschnitten beleuchten und konkrete Verbesserungsvorschläge, insbesondere zum Strafvollzug und seinen Verwaltungsvorschriften, erarbeiten.

Referenten:
Prof. Dr. Michael Walter, Köln
Ltd.Reg.Dir. Dr. Joachim Walter, Adelsheim
RA Burkhard Zimmer, Köln

Leitung:
RA Dr. Heinrich Comes, Köln


Arbeitsgruppe 4
Die Wirklichkeit des Strafvollzugs unter dem Strafvollzugsgesetz
- Perspektiven einer Veränderung
in Kooperation mit der JVA III/Frankfurt-Preungesheim

Achtung: Dezentrale Veranstaltung in der JVA III/Frankfurt-Preungesheim!
Um Voranmeldung wird gebeten. Für den Transfer zur JVA wird gesorgt. Mittagessen vor Ort!

Das im Februar 1976 verabschiedete Strafvollzugsgesetz wurde am 16. März 1976 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am 1. Januar 1977 in Kraft.

Leitsatz des Strafvollzugsgesetzes war die Vermeidung eines Rückfalls und die soziale Eingliederung des Verurteilten. Die Vollzugspraxis – verstärkt in den letzten Jahren – zeigt , dass dieser Resozialisierungsgedanke in den Hintergrund geraten ist und – teilweise erfolgreich – versucht wurde, populistischen Sicherungs- und Sicherheitsgedanken den Vorrang zu geben unter dem Motto: »Wegsperren, am Besten für immer, zumindest solange wie möglich«.

Die Arbeitsgruppe soll sich mit der Entwicklung des Strafvollzugs – in Rechtsprechung und Praxis – unter dem Strafvollzugsgesetz kritisch auseinander setzen und Perspektiven erarbeiten, wie das Vollzugsziel der Resozialisierung – auch im Vollzugsalltag – erfolgreich und erfolgreicher umgesetzt werden kann. Die Arbeitsgruppe soll sich u.a. auch befassen mit der Tendenz zur Privatisierung des Strafvollzugs.

Nach Begrüßung durch den Leiter der JVA III, Herr RDir. Müller, wird eine kurze Führung durch die Haftanstalt erfolgen.

Referenten:
RA Erich Joester, Bremen
RiAG Dr. Ulrich Kamann, Werl
Prof. Dr. Arthur Kreuzer, Gießen
MDgt. Dr. Helmut Roos, Hessisches Ministerium der Justiz, Wiesbaden

Leitung:
RA Rupert von Plottnitz, Staatsminister a.D., Frankfurt/Main


Arbeitsgruppe 5
Aushöhlung der Zeugnisverweigerungsrechte durch
heimliche Ermittlungen

Der »Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht« (ASP) hat im Mai 2002 die Ergebnisse seines Forschungsprojektes zum Thema »Zeugnisverweigerungsrechte bei verdeckten Ermittlungen« vorgelegt. Die damalige Bundesministerin der Justiz Däubler-Gmelin begründete den Forschungsauftrag des BMJ u.a. mit den Worten, die Ausgestaltung der Zeugnisverweigerungsrechte in der StPO lasse systematische Stringenz vermissen. Insbesondere im Bereich verdeckter Ermittlungen stelle sich die Frage nach einem stimmigen Gesamtkonzept. Dieser unbeantworteten Frage widmet sich die Arbeitsgruppe in drei Referaten:
Das erste Referat wird die Zeugnisverweigerungsrechte in einem systematischen Zusammenhang mit den sie begleitenden Schutzvorschriften darstellen. Im Mittelpunkt stehen die durch ihr besonderes Verhältnis zum Beschuldigten privilegierten Zeugen sowie die beruflichen Geheimnisträger und ihre Berufshelfer.
Das zweite Referat befasst sich mit den heimlichen Ermittlungsmethoden, welche die Zeugnisverweigerungsrechte umgehen. Im Vordergrund stehen die TKÜ, die mit ihr einhergehenden Datensammlungen und der Lauschangriff.
Das dritte Referat dient der rechtspolitischen Bestandsaufnahme im Sinne eines zu schaffenden »stimmigen Gesamtkonzepts«.

Referenten:
RA Gerhart Baum, Köln
OStA Volker Schmerfeld-Tophof, Generalstaatsanwaltschaft Hamm
RA Michael Tsambikakis, Köln

Leitung:
RA Wolfram Strauch, Aachen


Arbeitsgruppe 6
Justiz und Medien – brauchen wir eine justizielle Schweigepflicht?

Im Gegensatz zur grundsätzlich öffentlichen Hauptverhandlung ist das Ermittlungsverfahren nicht öffentlich. Persönlichkeitsschutz und Unschuldsvermutung gebieten, über Verfahren erst dann zu be-richten, wenn zumindest eine vom Gericht zugelassene Anklage vorliegt, die den Weg in die öffentliche Hauptverhandlung ebnet. Soweit die Theorie. Die Praxis ist geprägt von »medialer Rücksichtslo-sigkeit«, die Grenzen zulässiger Kriminalberichterstattung werden ungeachtet selbst auferlegter Beschränkungen (Pressekodex) fast täglich überschritten. Herber Wettbewerb unter den Medien führt dazu, dass immer häufiger – teilweise durchaus mit Hilfe der Pressesprecher der Justiz – Details aus Ermittlungsverfahren publik werden und zu einer entsprechenden Vorverurteilung des nicht immer prominenten Beschuldigten führen. Im Mittelpunkt der Medienberichterstattung über laufende Ermitt-lungshandlungen mit oft auflagesteigernden Pikanterien steht der Beschuldigte und muss gelegentlich feststellen, dass die Justiz selbst im Ermittlungsverfahren entweder durch Auskunft der Pressesprecher oder durch Akteneinsicht von angeblich Geschädigten an der Öffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens mitwirkt. Die Presse stellt die Informationsfreiheitsrechte in den Vordergrund und beruft sich – durchaus zu Recht – auf Art. 5 GG, der aber nicht schrankenlos geltend kann. Die zunehmende Medi-alisierung der Gesellschaft führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und dem Interesse der Presse an einer möglichst frühzeitigen Berichterstattung.


Referenten:
Prof. Dr. Wolfgang Donsbach, Geschäftsführender Direktor des Institutes für Kommunikationswissenschaft I, Dresden
PD Dr. Josef Franz Lindner, Ludwig-Maximilians-Universität München, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
RA Michael Stephan, Dresden
Prof. Dr. Thomas Weigend, Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Universität Köln

Leitung:
RA Stefan Heinemann, Dresden

Arbeitsgruppe 7
Die Unsitte des »Deals« und dessen Regeln

Die strafprozessuale Realität hat gezeigt, dass Urteilsabsprachen zur täglichen Praxis gehören. Man mag sie gutheißen oder nicht, sie sind aus dem Strafprozess nicht mehr wegzudenken. Die Rechtsprechung – BGHSt 43, 195 ff z.B. – und insbesondere der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes (Beschl. vom 3. März 2005 – GSSt 1/04) sah sich, angesichts der Ausuferungen, veranlasst, eine Reglementierung vorzunehmen und nach Erreichen der Grenzen einer zulässigen Rechtsfortbildung durch die Judikative den Gesetzgeber aufzufordern, tätig zu werden.
Zwischenzeitlich hat auch der Strafrechtsausschuss der BRAK einen ausführlichen Gesetzesentwurf in der Absicht formuliert, dem Gesetzgeber »Handlungsempfehlungen« zu geben.
Die Arbeitsgruppe wird sich mit der Entwicklung der Urteilsabsprachen befassen unter besonderer Beleuchtung des Selbstverständnisses von Strafverteidigung in diesem Bereich und sich mit Regelungsmöglichkeiten auseinandersetzen. Sie wird auch die Kompatibilität der Urteilsabsprachen mit dem Strafprozess, wie ihn die StPO vorgibt – z.B. Prinzipien der Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit, Gesetzmäßigkeit –, überprüfen.

Referenten:
RA Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, Berlin
Richter am BGH Wolfgang Pfister, Bundesgerichtshof Karlsruhe (angefragt)
Bundesanwalt beim BGH Lothar Senge, Generalbundesanwalt Karlsruhe
Vertreter/in des Bundesministeriums der Justiz Berlin (angefragt)

Leitung:
RA Prof. Dr. Hans-Joachim Weider, Frankfurt am Main

 

Anmeldung

Die Anmeldung zum Strafverteidigertag muss schriftlich, kann aber auch per E-Mail erfolgen. Bitte beachten Sie, dass folgende Angaben zur Bearbeitung benötigt werden:
1. vollständiger Name und Anschrift
2. Beitragsgruppe (s.u.)
3. voraussichtlich besuchte AG

Sie können sich HIER per E-Mail anmelden.

Nach Anmeldung erhalten Sie eine Rechnung per E-Mail.
Anfang Februar wird Ihnen ein Materialheft mit Beiträgen zur Vorbereitung auf die Tagung übersandt.

Beiträge:

Mitglieder: 200,- € (inkl. 16% MwSt.)
Nichtmitglieder: 300,- € (inkl. 16% MwSt.)
junge KollegInnen: 180,- € (inkl. 16% MwSt.)
ReferendarInnen u. Studierende 95,- € (inkl. 16% MwSt.)

Als Mitglieder gelten nur Mitglieder einer der ausrichtenden Strafverteidigervereinigungen.
Als junge KollegInnen gelten RechtsanwältInnen, deren Zulassung nicht länger als 3 Jahre zurückliegt.

Zahlung:

Um Überweisung des Teilnahmebeitrags an das Konto
von Schlieffen / Strafverteidigervereinigungen
122 034 104
Postbank Berlin
BLZ 100 100 10
wird gebeten.

Stornierung

Bereits erfolgte Anmeldungen können bis zum 25. Februar 2006 (Posteingang) storniert werden. Bei allen Stornierungen wird eine Stornierungsgebühr von 10 % des Beitrages erhoben.

Unterkunft

Unterkunft und Verpflegung sind im Tagungspreis nicht enthalten.
Für TeilnehmerInnen des Strafverteidigertages wurde ein Zimmerkontingent im Hotel NH Frankfurt-City, Vilbelerstraße 2, 60313 Frankfurt/Main zur Selbstbuchung reserviert (EZ: 99,-- €/DZ: 115,-- €, inkl. Frühstück). Das Hotel können Sie im Internet erreichen (LINK). Buchung unter (tel) 069 - 928859 - 888, bzw. (fax) - 100. Das Hotel befindet sich in der Innenstadt in unmittelbarer Nähe der U- & S-Bahnstation Konstablerwache. Wir bitten auf das Kon-tingent des Strafverteidigertages hinzuweisen.