Stellungnahme

Ereignis

Stellungnahme zum RVG-E

19.04.2002
Startzeit: 00:01

Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen

zum

Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (RVG-E)

 

Der von der Expertenkommission "BRAGO-Strukturreform" vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (RVG-E) beinhaltet eine grundlegende Änderung des System der Rechtsanwaltsvergütung in Strafsachen. Die geltenden Vorschriften der BRAGO, insbesondere die §§ 83 – 86, knüpfen für die Vergütung des Verteidigers wie auch des Nebenklage- oder Verletztenvertreters lediglich pauschal am jeweiligen Abschnitt des Strafverfahrens an. Gesonderte Vergütungsansprüche entstehen nur, wenn in einem Verfahrensabschnitte mehrere Hauptverhandlungstermine anfallen (§§ 83 II, 85 II, 86 II BRAGO). Sonst bleibt es bei der ausdrücklichen Regelung des § 87 BRAGO, daß mit den Gebühren der §§ 83 – 86 BRAGO die gesamte anwaltliche Tätigkeit abgegolten wird.

Die Expertenkommission hat zutreffend festgestellt, daß dieses Gebührensystem der veränderten Berufspraxis nicht mehr gerecht wird. Ein ganz erheblicher Teil der Verteidigertätigkeit findet inzwischen im Ermittlungsverfahren statt. Dort werden entscheidende Weichen für das spätere Hauptverfahren gestellt. Die Rechte und damit Handlungsmöglichkeiten der Verteidigung im Ermittlungsverfahren sind in den letzten Jahren durch eine Reihe von Entscheidungen insbesondere des BVerfG (u.a. Beschwerde gegen vollzogene Durchsuchung BVerfGE 96, 44; Akteneinsichtsrecht bei der Verhandlung über den Haftbefehl StV 1994, 465), z.T. auch des BGH (Benachrichtigung des Strafverteidiger-Notdienstes vor der Beschuldigtenvernehmung BGHSt 42, 15) gestärkt worden. Das Eckpunktepapier des BMJ zur Reform des Strafverfahrens sieht eine erhebliche Ausweitung der Beteiligungsrechte für die Verteidung im Ermittlungsverfahren vor.

Dieser Verlagerung der Verteidigertätigkeit in das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung trägt der RVG-E dadurch Rechnung, daß Gebühren nicht mehr nur pauschal für den einzelnen Verfahrensabschnitt bestimmt werden, sondern die Vergütungstatbestände auch an der konkreten Tätigkeit anknüpfen. Danach wird die Teilnahme an jeder einzelnen Vernehmung, ob durch Polizei, Staatsanwalt oder Richter, ebenso gesondert vergütet wie die Teilnahme an Haftverhandlungen, Verhandlungen über einen Täter-Opfer-Ausgleich oder Sühneterminen (Nr. 4102 VV zu RVG-E). Dies trägt der veränderten Praxis Rechnung und macht andererseits die Vergütungsberechnung für den Empfänger transparenter. Die Strafverteidigervereinigungen stimmen diesen Regelungen deshalb zu.

Die vermehrte Verteidigertätigkeit außerhalb der Hauptverhandlung beschränkt sich aber nicht auf die Teilnahme an Vernehmungen u.ä. Effektive Verteidigung außerhalb der Hauptverhandlung verlangt auch, Ermittlungshandlungen wie Durchsuchungen, Beschlagnahme, Verhaftung usw. mit der Beschwerde anzugreifen. Hierfür sieht weder die BRAGO noch der RVG-E eine gesonderte Vergütung vor. Auf Justizseite werden für Beschwerdeverfahren dagegen Kosten erhoben (Nr. 6703 KV-GKG), in Zivilverfahren sieht auch der RVG-E eine besondere Beschwerdegebühr vor (Nr. 3500 VV). Die Strafverteidigervereinigungen sind der Ansicht, daß auch in Strafsachen Beschwerden gesondert zu vergüten sein sollten.

Die Strukturreform führt durch die verstärkte Berücksichtigung der einzelnen Tätigkeit zu einer erheblichen Verbesserung der Pflichtverteidigervergütung. Allerdings bleibt der Vorschlag der Expertenkommission auf halbem Weg stehen. Für den Pflichtverteidiger sind weiterhin Festgebühren vorgesehen, die 80 % der Mittelgebühr des Wahlverteidigers betragen sollen. Dies wird Umfang und Aufgabe der Pflichtverteidigung nicht gerecht. Barton hat festgestellt, daß in 71 % der erstinstanzlichen Verfahren bei den Landgerichten für den Angeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt war (Barton, Die Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen, S. 75). Pflichtverteidigung ist mithin nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In der Geldwäsche-Entscheidung vom 04.07.2001 hat der BGH lapidar festgestellt, Pflichtverteidigung sei keine Verteidigung minderer Güte (BGH StV 2001, 506, 508). Auch wenn dies der Realität nicht entsprechen mag, ergibt sich hieraus jedoch, daß ein sachlicher Grund für die schlechtere Honorierung des Pflichtverteidigers nicht besteht. Dieser hat dieselbe Leistung zu erbringen wie der Wahlverteidiger. Dann ist er auch genauso zu honorieren. Die Strafverteidigervereinigungen fordern deshalb, die Sonderregelungen für Pflichtverteidiger ersatzlos entfallen zu lassen (mit Ausnahme des § 49 RVG-E), und stattdessen festzulegen, daß die Vergütungsvorschriften des Wahlverteidigers auch für den Pflichtverteidiger gelten.

Die Auszahlung der Pflichtverteidigervergütung zieht sich häufig lange hin, Bearbeitungszeiten von mehreren Monaten sind jedenfalls nicht selten. Gelegentlich dauert es mehr als ein Jahr, bis die fällige Vergütung gezahlt wird. Es ist nicht hinzunehmen, daß der Pflichtverteidiger der Staatskasse damit quasi zinsfreien Kredit gewähren muß. Die Strafverteidigervereinigungen sind deshalb der Ansicht, daß die Pflichtverteidigervergütung ab Antragstellung entsprechend § 104 I S. 2 ZPO zu verzinsen sein sollte.

§ 48 RVG-E betrifft die Pauschvergütung für den Pflichtverteidiger und entspricht im wesentlichen dem jetzigen § 99 BRAGO. Die Expertenkommission geht wohl zutreffend davon aus, daß diese Vorschrift wegen der Änderung des Vergütungssystems erheblich an Bedeutung verlieren wird. Zu begrüßen ist die Klarstellung, daß auch vor der Pflichtverteidigerbestellung entfaltete Tätigkeiten bei der Bemessung der Pauschgebühr zu berücksichtigen sind, und daß ein Vorschußanspruch besteht. Damit werden zwei in der Rechtsprechung streitige Fragen geklärt. Darüberhinaus sollte klargestellt werden, daß die Pauschgebühr nicht durch die Höchstgebühr des Wahlverteidigers begrenzt ist. Die gegenteilige Auffassung wird in einigen (wenigen) OLG-Entscheidungen noch vertreten, auch wenn sie vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt ist.

§ 39 RVG-E sieht vor, daß in Strafsachen besonderen Umfangs für das gesamte Verfahren oder einzelne Abschnitte durch das OLG eine Pauschgebühr bis zur doppelten Höhe der Wahlverteidiger-Höchstgebühr festgesetzt werden kann. Dies betrifft Fälle der Wahlverteidiung und führt dazu, daß in derartigen Fällen sowohl Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Staatskasse als auch Vergütungsansprüche gegenüber dem Mandanten zugesprochen werden können, die die gesetzlichen Höchstgebühren übersteigen. Aus Sicht der Strafverteidigervereinigungen erkennt dieser Vorschlag an, daß eine sachgerechte Strafverteidigung in vielen Fällen ohne Vereinbarung eines Honorars oberhalb des gesetzlichen Rahmens nur bei Strafe des eigenen wirtschaftlichen Untergangs möglich ist. Deshalb werden in vielen Strafsachen Honorarvereinbarungen abgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs auf die gesetzlichen Gebühren für zulässig gehalten, da dem Beschuldigten zugemutet werden könne, sich um einen Verteidiger zu bemühen, der zu den gesetzlichen Gebühren für ihn tätig wird (BVerfGE 68, 237, 250). Der Vorschlag der Expertenkommission trägt der veränderten Realität Rechnung und ermöglicht jedenfalls in umfangreichen oder schwierigen Fällen eine weitergehende Kostenerstattung. Auch eine weitergehende Honorierung des Verteidigers wird in diesen Fällen ermöglicht, wenn eine Honorarvereinbarung nicht abgeschlossen worden ist. Die Strafverteidigervereinigungen begrüßen diesen Vorschlag.

Allerdings sind die Strafverteidigervereinigungen der Auffassung, daß die Entscheidung, ob wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache eine Erweiterung des Gebührenrahmens eintritt und wie die Gebühr innerhalb dieses erweiterten Rahmens zu bestimmen ist, nicht vom Oberlandesgericht (oder einem anderen Gericht) zu treffen ist. Die Bestimmung der Gebühr im jeweiligen Einzelfall ist Sache des Rechtsanwalts. Dieser hat zu entscheiden, ob die Sache besonders umfangreich oder schwierig war und der normale Gebührenrahmen für die angemessene Vergütung (§ 13 RVG-E) nicht ausreicht. Sowohl die BRAGO als auch der RVG-E enthalten bereits Vorschriften, die in bestimmten Fällen den Gebührenrahmen nach oben erweitern, nämlich bei Inhaftierung des Beschuldigten oder bei Tätigkeiten im Zusammenhang mit einem Fahrverbot bzw. Entzug der Fahrerlaubnis (§ 83 III, § 88 S. 3 BRAGO bzw. Abs. 4 der Vorbemerkung zu Teil 4 RVG-E). In derartigen Fällen entscheidet der Verteidiger, ob eine Überschreitung des Regel-Gebührenrahmens erforderlich ist, um zu einer der anwaltlichen Tätigkeit angemessenen Vergütung zu kommen. Es handelt sich bei diesen Sonderregelungen um vertypte Fälle besonderen Umfangs anwaltlicher Tätigkeit. Der Grundsatz, daß die Höhe der Vergütung vom Rechtsanwalt zu bestimmen ist, muß auch in den sonstigen (unbenannten) besonders umfangreichen oder schwierigen Fällen gelten, für die § 39 RVG-E gedacht ist. Die Strafverteidigervereinigungen widersprechen deshalb dem Vorschlag, die Entscheidung über Grund und Höhe der erweiterten Gebühr dem Oberlandesgericht zu übertragen.

Die Entscheidung des Verteidigers, daß der Gebührenrahmen wegen besonderen Umfangs oder besonderer Schwierigkeit überschritten wird, bleibt auch ohne Entscheidung des Oberlandesgerichts überprüfbar. Sowohl im Vergütungsprozeß gegen den Auftraggeber als auch bei der Kostenfestsetzung gegen die Staatskasse wird der Rechtsanwalt die besonderen Umstände darzulegen haben. Die Instanzgerichte, sowohl der Straf- als auch der Zivilgerichtsbarkeit, sind damit in der Lage, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Erweiterung des Gebührenrahmens vorliegen und ob die Bestimmung der Vergütung durch den Rechtsanwalt angemessen ist, ggf. unter Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer. Für eine Entscheidung durch das Oberlandesgericht besteht deshalb auch kein Bedarf. Vielmehr ist es sachgerecht und entspricht der Struktur des anwaltlichen Vergütungssystems, sowohl nach der BRAGO als auch nach dem RVG-E, die Vergütungsbestimmung auch in diesen Sonderfällen durch den Rechtsanwalt treffen zu lassen.

 

In Nr. 4200 ff VV zum RVG-E werden gesonderte Gebühren für die Tätigkeit in der Strafvollstreckung neu eingeführt. Bislang kann diese Tätigkeit nur nach § 91 BRAGO abgerechnet werden, was – wie die Expertenkommission zutreffend feststellt – zu völlig unzureichenden Gebühren führt. Der Vorschlag ist deshalb zu begrüßen. Allerdings ist nicht nachzuvollziehen, warum hier keine Grundgebühr vorgesehen ist. Die Grundgebühr soll ansonsten den bei Mandatsbeginn anfallenden Aufwand (Gespräch mit dem Mandanten, Informationsbeschaaffung) abgelten. Dieser Aufwand entsteht auch in Strafvollstreckungssachen. Gerade bei Reststrafenverfahren ist häufig frühzeitiger und intensiver Kontakt mit dem Mandanten, aber auch den Vollzugsbehörden erforderlich, um das Verfahren mit Aussicht auf Erfolg betreiben zu können. Deshalb sollte auch für diese Verfahren eine Grundgebühr vorgesehen werden.

 

 

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