Die Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz

37. Strafverteidigertag 2013
08. bis 10. März 2013
Freiburg, Konzerthaus

Veranstalter:
Baden-Württembergische Strafverteidiger e.V. | Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. | Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V. | Strafrechtsausschuss des Kölner Anwaltverein e.V. Strafverteidigerinnen- und Strafverteidigerverein Mecklenburg-Vorpommern e.V. | Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Strafverteidigervereinigung NRW e.V. | Vereinigung Rheinland-Pfälzischer und Saarländischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. | Strafverteidiger Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. | Schleswig-Holsteinische Strafverteidigervereinigung e.V.

Die Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz

Ein Radiomoderator wird vor eingeschaltetem Mikrophon aus seiner Sendung verhaftet. Keine böse Absicht, beteuert die Staatsanwaltschaft später. Einem Strafverteidiger werden im Gerichtssaal Handfesseln angelegt. Die Presse ist informiert und filmt mit. Ein Beschuldigter wird in Hand- und Fußfesseln vorgeführt, ein anderer gezwungen, vor laufenden Kameras niederzuknien, um eine Fesselung anzulegen. Die demonstrative Sicherung nimmt die Schuld vorweg, die das Gericht erst feststellen muss. In Emden wird ein Jugendlicher fälschlich beschuldigt, ein Kind ermordet zu haben. Bereits kurz nach seiner Festnahme kennt die Presse seinen Namen. Ein "Informationsleck", heißt es später. Der Facebook-Account des Jungen wird mit Todesdrohungen überschwemmt. Anders in Bremen. Dort stirbt ein 35 Jahre alter Mann an einem sog. Brechmitteleinsatz. Der verantwortliche Polizeiarzt wird freigesprochen. Zweimal wird der BGH tätig, hebt den Freispruch auf und attestiert dem Landgericht Bremen "haltlose Unterstellungen zugunsten des Angeklagten". (5 StR 536/11) Ein Strafurteil des Landgerichts Kassel wird ebenfalls vom BGH aufgehoben, mit dem ein Amtsrichter freigesprochen worden war. Der Richter hatte einen nichtgeständigen Angeklagten höchstpersönlich in die Gewahrsamszellen des Amtsgerichts gesperrt, um vorzuführen, "wie Ihre Zukunft aussehen kann". (2 StR 610/11) In Würzburg verurteilt das Amtsgericht derweil einen Strafverteidiger wegen "übler Nachrede", weil dieser einen Durchsuchungsbeschluss gerügt hatte, dem keine eigenständige Prüfung zugrunde liege. Auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss hingewiesen erklärt die Richterin salopp, das Bundesverfassungsgericht habe halt "keine Ahnung von der Realität".

Die nicht enden wollende Liste bedauerlicher Einzelfälle, in denen Justiz und Polizei rechtsstaatliche Verfahrensregeln kreativ umgestalten, wirft die Frage nach der Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz auf. Verurteilungsquoten, Erledigungsdruck und die endemische Rede vom Ressourcenmangel stehen in Widerspruch zu den Anforderungen eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens. Dies betrifft aber nicht alleine die Justiz. Auch Strafverteidigung hat sich verändert, spätestens seit der Deal als sog. Verfahrensabsprache verrechtlicht wurde.

Programm

Freitag, 08.03.2013

18.30 Uhr Eröffnung und Begrüßung

19.00 Uhr Eröffnungsvortrag

Rechtsanwalt Martin Lemke, Hamburg

"Die Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz"

anschl. Empfang für die Gäste des Strafverteidigertages

im Foyer des Konzerthauses Freiburg

Samstag, 09.03.2013 - Arbeitsgruppen

AG 1: Wer dealt, der sündigt nicht! Die Kultur der Strafverteidigung

Prof. Dr. Klaus Bernsmann, Ruhr-Universität Bochum | RA Dr. Jan Bockemühl, Regensburg | RiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer, Karlsruhe | Gisela Friedrichsen, Journalistin, Hamburg | RA Andreas Schwarzer, München | Moderation: RAin Andrea Groß-Bölting, Wuppertal

AG 2: Die Freiheit der Person ist unverletzlich! Das Nähere regelt der Haftrichter.

RA Stefan Allgeier, Mannheim | RA Dr. Lutz Eidam, Bucerius Law School Hamburg | RA Dr. Frank Nobis, Iserlohn | Moderation: RA Thomas Fischer

AG 3: Wie (un)kontrolliert ist die Gewalt der Polizei?

Prof. Dr. Thomas Feltes, Ruhr-Universität Bochum | Strafverteidiger/in (N.N.) | Vertreter/in der Justiz (N.N.) | Moderation: RA Marco Noli, München

AG 4: Erhebung und Verwertung digitaler Daten im Strafverfahren

RiLG Ulf Buermeyer, Berlin; RA Prof. Dr. Marco Gercke, Köln (angefragt); Prof. Dr. Carsten Momsen, Universität Hannover; Dr. Carsten Rudolf, Frauenhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie; RA und RiVerfGHBln Meinhard Starostik, Berlin | Moderation: RA Dr. Toralf Nöding / RA Sönke Hilbrans, Berlin

AG 5: Bedeutungslosigkeit der Schuldunfähigkeit bzw. der erheblich verminderten Schuldfähigkeit?

Prof. Dr. Lorenz Böllinger, Universität Bremen | Prof. Dr. med. Hans-Ludwig Kröber, Charité Berlin | VRiLG Volker Kaiser-Klan, Frankfurt am Main | Moderation: RA Dr. h.c. Rüdiger Deckers, Düsseldorf

AG 6: Sehen und Sehen lassen - Rollenverhalten in der Hauptverhandlung

Prof. Dr. Hans-Ulrich Becker, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main | Rechtsanwalt Andreas Mroß, Lübeck | RAin Verina Speckin, Rostock | Dr. Susanne Winnacker, Rektorin der Hochschule für Musik und Theater Rostock

17.30 Uhr : Aktuelles aus Europa mit RA Dr. Heiko Ahlbrecht

Sonntag, 10.03.2013

Schlussdiskussion: »Die Akzeptanz der Justiz in der Gesellschaft«
»Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen« - so reagieren Bürger gerne auf große Wirtschafts-verfahren, die in der Regel durch Deals gelöst werden. Trauen die Menschen der dealenden Justiz noch zu, überhaupt auf der Suche nach Wahrheit zu sein oder herrscht längst die Überzeugung vor, dass Recht nur bekommt, wer es sich leisten kann?

Dass gelegentlich auch die »Kleinen« zwar nicht unbedingt laufen, aber doch zumindest aus der Untersuchungshaft gelassen werden, erregt gleichwohl öffentlichen Unmut. Steckt hinter den Äußerungen, die Justiz gehe zu lasch um mit Beschuldigten in Gewaltverfahren, mehr als reiner Affekt? Hat die Gesellschaft noch Vertrauen in ihre Justiz?

Zumindest bei vielen Strafverteidiger/innen scheint das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Justiz erschüttert.